Steirereck am Pogusch, Turnau

Angeschmiegt an den Hang


Steirereck am Pogusch, Turnau

PPAG architects, Wien/Berlin


Der Pogusch ist ein 1.059 Meter über Adria hoher Alpenpass in der Obersteiermark, der die Verbindung zwischen den Gemeinden Turnau und Sankt Lorenzen im Mürztal herstellt. Hier wird seit 25 Jahren eine Landwirtschaft mit höchstem qualitativem Erfolg sowie das traditionelle Wirtshaus „Steirereck am Pogusch“ betrieben. Das Büro PPAG architects wurde mit einer umfangreichen Erweiterungs- und Umbaumaßnahme betraut. Dabei bestand die Herausforderung für die Planer*innen darin, eine von Naturerlebnis geprägte Situation am Berg und einen anspruchsvollen, zeitgemäßen Gastronomiebetrieb zu einer harmonischen Gesamtlösung zu führen. Der architektonische Vorschlag überzeugte die Bauherren durch den sensiblen Umgang mit der Landschaft und dem Bestand sowie der größtenteils unterirdischen Bebauung, wodurch das Ensemble des Altbestandes hervorgehoben wurde, die Neubauten jedoch gleichzeitig als markante Baukörper und Blickfang für die Gäste in den Vordergrund rücken. Das Projekt umfasste neben der Erneuerung des Bestandgasthauses die Realisierung weitläufiger neuer Gastronomiebereiche wie das „Salettl“ für Fine-Dining, die Schankküche, die Schnapsbrennerei, die Küchen samt umfangreicher Vorbereitungs- und Mitarbeiterbereiche sowie einen Küchengarten in einem kleinen Glashaus. Im großen Glashaus, einem Hybrid aus avancierten Gewächshaus und Wohnraum, die einander atmosphärisch befruchten, befinden sich integrierte Schlafkojen – die Kabanen – sowie eine Wellnesszone mit Sauna, Hamam und Kaminzimmer. Auf dem Grundstück gegenüber dem „Bründl-Wanderweg“ befindet sich ein Altbestand bestehend aus einem Wirtshaus, Beherbergungsgebäuden und einem bäuerlich genutzten Gebäude. Die Freiflächen gliedern sich in Bauland und landwirtschaftliche Nutzfläche. Während das Wiener Restaurant „Steirereck“ seit vielen Jahrzehnten zur gastronomischen Spitze Österreichs und seit mehr als 10 Jahren zu den „The Worlds 50 Best Restaurants“ zählt, wird neben der zeitgemäßen Ausrichtung des gastronomischen Konzeptes immer ein besonderes Augenmerk auf die größtmögliche Nachhaltigkeit der eigenen Aktivitäten gelegt, die ihren landwirtschaftlichen Ursprung in der steirischen Liegenschaft haben. Mit dem Projekt des Um- und Zubaus des „Steirereck am Pogusch“ wollte die Familie Reitbauer zeigen, wie innovativ ein gastronomischer Betrieb geführt werden kann.

HOCHMODERNES GESAMTKUNSTWERK

Die über Jahre und Generationen gewachsene Landwirtschaft mit angeschlossener Gastronomie stand weniger am Punkt einer inhaltlichen Neuorientierung, vielmehr sollte die schon gelebte achtsame Lebensweise im Gebauten manifestiert, für die Betreiber selbst und für die Gäste nutz-, spür- und sichtbar werden. Die Herausforderung bestand darin, eine von Naturerlebnis geprägte Situation und einen hoch anspruchsvollen, zeitgemäßen Gastronomiebetrieb innerhalb einer harmonischen Gesamtlösung in die Zukunft zu führen. Das Neue darf sichtbar sein, demonstriert Lebensperspektive des 21. Jahrhunderts abseits der Stadt, verknüpft mit dem Knowhow des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus ist dieses Projekt Teil des Forschungsprogramms „Stadt der Zukunft“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Die bestehenden Gebäude – vorhandene Küche, Beherbergung, Steinhaus, Holzhaus sowie Landwirtschaft – wurden durch PPAG architects durch relevante neue Bauten ergänzt. Dies sind eine moderne Küchenerweiterung, ein Salettl, zwei Glashäuser – warm und kalt –, spezielle Mitarbeiter- und Gästeunterbringung, sowie die Erweiterung sichtbarer und unsichtbarer Infrastruktur. Durch unterschiedliche, zurückhaltende Eingriffe bilden Bestandsgebäude und Zubauten ein dörfliches Ensemble im Maßstab der ländlichen Bebauung. PPAG architects haben zudem zahlreiche Details wie organomorphe Türgriffe, 3D-gedruckte Waschbecken und raumwirksame Holzlamellenvorhänge entworfen, die dem Projekt die Dimension einer Art hochmodernen Gesamtkunstwerkes verleihen und die Besucher*innen in eine ungewohnte Bergwelt entführen.


BESTAND WURDE „DURCHGEKEHRT“

Der Bestand, also das Steinhaus aus dem 17. Jahrhundert und das Holzhaus sowie Teile der Küche, wurden ordentlich „durchgekehrt“, was den Häusern guttut und die schönen alten Strukturen hervorbringt. Was brauchbar ist, blieb, vieles wurde hergerichtet sowie neue Möbel eigens gestaltet. Neu dazu kamen sichtbare Weinkeller für Rot-, Weiß-, und Schaumweine, ein Hofladen, moderne Toiletten im Untergeschoss und kontrastierende Übergänge zum neu errichteten Salettl sowie der Schankkuchl. Auf die Nutzung hochwertiger, lokaler Materialen und traditioneller Handwerkstechniken im Einklang mit einer zeitgenössischen Gestaltung wurde besonders geachtet. Die Hangverläufe änderten sich trotz maßgeblicher Baumaßnahmen so gering wie nur möglich. Der Aushub wurde am Areal wieder eingepflegt. Die Positionierung der neuen Gebäude im Verhältnis zum Bestand und die sich dazwischen entfaltenden Wegerelationen sprechen die selbstverständliche Sprache vernakulärer Bauweise. Die Übergänge zwischen den Zonen sind trotz Radikalität der Neubauten harmonisch und selbstverständlich, die gesamtheitliche Wirkung ist letztlich in gewissem Sinn unaufgeregt normal. Erneuerung, bewusst, in jeder Faser, aber ohne unnötige Übertreibung.


FLEXIBLE RAUMNUTZUNG

Das neue Salettl bildet zusammen mit dem bestehenden Steinhaus und Holzhaus ein differenziertes Gastraumangebot, das unterschiedliche Vorstellungen von Gastlichkeit und Atmosphäre bedienen kann. In Ergänzung zum Bestand ist es offen und transparent mit Ausblick auf die umgebende Natur. Die räumliche Behaglichkeit kommt von flexiblen, veränderbaren Holzlammellenvorhängen und Wandverkleidungen aus Bio-Wollfilz. Dank der verschiedenen Positionierungen von 26 Lamellenvorhängen aus Eiche, die von der Decke hängen, ergeben sich unterschiedliche Nutzungsszenarien im Salettl. Es kann auf einfache Weise, rasch und unkompliziert eine Vielzahl von verschiedenen Raumbereichen erzeugt werden. Die Fassadenverkleidung aus Alusion-Aluminiumschaum und die Kubatur des Daches signalisieren Zukunftsgewandtheit im Einklang mit Tradition und der umgebenden Landschaft.

ATMOSPHÄRISCHER KÜCHENBEREICH

Die Schank- und Feuerküche mit großem Grill als der für den Gast präsente Teil der Küche ist tagesabhängig hell und transparent oder atmosphärisch und dunkel vor dem Hintergrund des Grills: ein starker Raum im Herzen des Hauses. Hier kommt auch ein leichtes und zugleich hoch tragfähiges Holzbauelement zum Einsatz: eine Kielstegdecke. Bei alternierender Verlegerichtung werden jene Anschnitte sichtbar, die bei der gewohnten Montage verborgen bleiben. Die dünnen gebogenen Sperrholzplatten, die Ober- mit Untergurt verbinden, wurden zum Lampenschirm des Gastbereichs umfunktioniert.


TRANSPARENTER HINTERGRUND

Glashäuser in dieser Höhenlage stellen eine besondere Herausforderung dar. Enormer Forschungstrieb, in geringem Ausmaß Nutzpflanzenzucht und nicht zuletzt innovative, unkonventionelle Gästeunterbringung sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Glashäuser. Entstanden sind ein kaltes und ein warmes Glashaus, die jeweils unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Das große, kalte Glashaus (Mindesttemperatur um den Gefrierpunkt) wird für ganzjährige Pflanzenzucht verwendet. Hier gibt es des Weiteren unkonventionelle Übernachtungsmöglichkeiten für unkonventionelle Gäste: die Kabanen. Unter dem kalten Glashaus liegt eine dazu passend spezielle Badelandschaft. Das warme Glashaus (ca. 22°) versorgt, an diese angeschlossen, die Küche mit frischen Kräutern und Gewürzen und ist intimer Backstagebereich für das Pogusch-Team, in dem sich neue Ideen entwickeln lassen. Beide Glashäuser sind über Atrien mit dem darunterlegenden Küchen-Hinterland verbunden und werten dieses durch direktes Tageslicht auf. Diese große Welt im Verborgenen und im Hintergrund, die für das Wohl des Gastes verantwortlich ist, tritt im Postkartenbild kaum in Erscheinung. Doch unter der Grasnarbe befinden sich gut belichtete Arbeitsplätze mit hoher räumlicher Qualität. Für die Konstruktion der Glashäuser mussten die Planer*innen und die ausführenden Firmen gut zusammenarbeiten, um ein hochwertiges Ergebnis zu erzielen. Für die gesamten Umsetzungen im Bereich des Glas- und Metallbaus war die Firma glas-technik.at verantwortlich. Als Innovationsführer entwickelt das Unternehmen maßgeschneiderte Lösungen mit neuester Technologie, höchster Funktionalität und zeitlosem Design.


DOPPELT AUSGEZEICHNET

Das große Glashaus des Steirereck am Pogusch erhielt den renommierten Preis „GerambRose 2022“ des Vereins BauKultur Steiermark. Die „GerambRose“ wird bienal als Würdigung für Leistungen verliehen, die im Sinne der Erhaltung oder Schaffung qualitätsvoller Baukultur erbracht wurden. Zudem wurde das Projekt am 5. Oktober 2022 in München bei der Preisverleihung des Iconic Awards mit dem Preis „Best of Best“ in der Kategorie „Innovative Architecture“ ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Das Wirtshaus und Hauben-Restaurant Steirereck am Pogusch in den österreichischen Alpen vereint Bodenständigkeit und nachhaltige Landwirtschaft mit Haute Cuisine und Luxushotellerie. PPAG architects haben nicht nur die Bestandsgebäude, bestehend aus dem dem 17. Jahrhundert entstammenden Steinhaus sowie einem aus der Region stammenden Holzhaus, hochwertig saniert, sondern die Anlage durch weitere Zubauten stilvoll erweitert. Das Ergebnis ist ein modernes, den alpinen Verhältnissen angemessenes Ensemble, das als Gesamtkunstwerk sowohl von außen als auch von innen auf hohem gestalterischen Niveau überzeugt und den Gästen eine besondere, exklusive Atmosphäre bietet, wie man sie in dieser Umgebung nicht erwartet und die den Aufenthalt unvergesslich macht.“

Projektinformationen

Objekt: Steirereck am Pogusch, Turnau
(www.steirereck.at/pogusch/)

Architekten: PPAG architects, Wien/Berlin
(www.ppag.at)

Fotos: Hertha Hurnaus


U.A. BETEILIGTE FIRMEN

Brüder Thumfort GmbH
A-8055 Graz

fuchs glas-technik.at GmbH
A-4300 St. Valentin

Geologie Weixelberger GmbH
A-2823 Pitten

STAHLBAU GRASCH GMBH
A-8410 Neudorf